Volume 5, issue 2 (winter 1997-1998)
1600-jähriges Jubiläum des Klosters Mor Gabriel*
von Gabriel Rabo
Das Kloster Mor Gabriel im Tur 'Abdin wird in
diesem Jahr 1600 Jahre alt. Es wurde durch "Anweisung des Engels"
im Jahre 397 gegründet. Dort versammelten sich im Laufe seiner
Geschichte unzählige Mönche und es wurde zur
Ruhestätte für über "zwölftausend Heilige". Das
Kloster war von 615-1049 Bischofssitz vom Tur 'Abdin und war dann
bis 1915 eine eigene selbständige Diözese. Seit 1600
Jahren werden liturgische Prozessionen begangen und Hymnen im
Kloster -- ausgenommen Verfolgungszeiten -- gesungen. Das Kloster,
das sich noch heute als Zentrum der Diözese vom Tur 'Abdin
behauptet, hat eine geistlich geprägte Geschichte hinter sich.
Dabei ist es eine Schutzburg und Wallfahrtsort für die Syrer
und es wird sogar als das zweite Jerusalem bezeichnet. Mor
Philoxenos von Mabug (+523) schreibt über die Bedeutung des
Klosters: Wer siebenmal mit Ehre und Furcht das Kloster besucht,
das vom Engel gegründet wurde, erwirbt dasselbe Verdienst, als
ob er Jerusalem besuchen würde.
Jubiläumsfeier in der fernen Diaspora
Als eine inoffizielle Jubiläumsfeier zum 1600jährigen
Bestehen des Klosters Mor Gabriel veranstaltete die Evangelische
Akademie Hofgeismar im Rahmen ihres jährlichen Programmes eine
Tagung vom 21. bis 23. März 1997. Sie wurde in Zusammenarbeit
mit dem "Mar Gabriel-Verein zur Unterstützung der syrischen
Christen" in Hamburg vorbereitet. Das Programm sollten auch die
beiden Erzbischöfe Mor Timotheos Samuel Aktas vom Tur 'Abdin,
dessen Residenz sich im Kloster Mor Gabriel befindet, und Mor
Philoxenos Yusuf Çetin von Istanbul bereichern. Sie konnten
allerdings aus bestimmten Gründen an der Feier nicht
teilnehmen. An ihrer Stelle war der Chorepiskopos Samuel Akdemir --
ehemals Patriarchalvikar von Istanbul -- anwesend. An der Tagung
haben mehr als 125 syrische und deutsche Gäste teilgenommen.
Darunter war auch der Erzbischof Mor Julius Yeshu
Çiçek.
Das Programm begann mit der Vorstellung des Klosters Mor Gabriel
und Tur 'Abdins im Rahmen eines Diavortrags von Helga Anschütz
und ihrem Ehemann Paul Harb. Dabei konnte ein erster Eindruck vom
Leben im Kloster Mor Gabriel und der Syrer im Tur 'Abdin gewonnen
werden. Am nächsten Morgen referierte Wolfgang Hage, Professor
für Orientalische Kirchengeschichte an der Universität
Marburg, über die Bedeutung des Mönchtums für die
Syrisch-Orthodoxe Kirche. Er hob in seinem Vortrag die Arbeit und
das Verdienst der syrischen Mönche und Gelehrten nicht nur
für die syrische Kirche, sondern auch für das Abendland
insgesamt hervor. In den syrischen Klöstern wurde die Bildung
gepflegt und von dort die griechische Philosophie -- so Professor
Hage -- über die Araber dem Abendland vermittelt. Danach
berichtete der Chori Samuel Akdemir über die neue Situation
der syrischen Gemeinden in Ursprungsgebiet Tur 'Abdin und im
Auswanderungsort Istanbul, nämlich daß die Anzahl der
Syrer in der Türkei ständig abnehme. Er brachte auch das
Zusammentreffen der beiden Erzbischöfe der syrischen
Diözesen in der Türkei mit dem Staatspräsidenten
Süleymen Demirel und anderen türkischen Politikern in
Ankara zur Sprache. Dabei setzten sie sich für die Rechte der
Syrer im Lande ein. Mor Julius Yeshu Çiçek, der
ehemalige Abt des Klosters Mor Gabriel und Gründer seines
theologischen Seminars, sprach über die Bedeutung dieses
Klosters und Tur 'Abdins für die syrisch-orthodoxen Gemeinden
in Europa. Dann berichtete er über das Gedeihen seiner
Diözese und den Bau eigener Kirchengebäude. Aber er
kritisierte auch die Haltung der von der CDU regierten Kommunen,
die den Syrern keine Baugenehmigung für Kirchengebäude
z.B. in den hessischen Städten Bebra, Wiesbaden und
Gießen geben. Fehmi Aykurt aus dem "Mar Gabriel-Verein" in
Hamburg schilderte in seinem Beitrag den neuen Stand des Asylrechts
der Syrer in Deutschland. Er berichtete, daß die Lage der
Asylsuchenden Syrer kritisch sei und manchen die Abschiebung in
ihre Heimat drohe. Amill Gorges, der dort auch beim Dolmetschen
immer mitwirkte, sprach über die kulturelle und religiöse
Identität der Syrer in den verschiedenen Regionen in und
außerhalb Mesopotamiens. Er hob auch den Rückgang der
Syrer in Syrien und im Libanon hervor. Darüber hinaus setzte
Helga Anschütz das Gespräch fort und verdeutlichte die
Gründe ihrer Auswanderung aus den islamisch geprägten
Ländern. Der Abend verlief festlich mit syrischen
vorösterlichen Kirchengesängen, die von einem
ausschließlich männlichen Chor gesungen wurden.
Anschließend wurde ein historischer Dokumentarfilm über
Tur 'Abdin und Syrien gezeigt, der in den sechziger und siebziger
Jahren von Anschütz und Harb für das deutsche Fernsehen
gedreht wurde. Am Sonntagvormittag ging es in einer
Podiumsdiskussion um das ungelöste Problem der Syrer in Bebra,
weil die sogenannte christlichen Parteien den Syrisch-Orthodoxen
den Bau eigener Kirchengebäude verbieten. Über den
Verlauf dieses Streites berichteten Besim Erdan aus der betroffenen
syrischen Gemeinde und die evangelischen Pfarrer H. Löwer und
R. Staege sowie die Sozialpädagogin C. Becker aus Bebra. Dabei
wurde die Politik der CDU kritisch erörtert.
Die Jubiläumsfeier des Klosters ging mit Ehrungen zu Ende.
Der Erzbischof Mor Julius Yeshu Çiçek dankte Helga
Anschütz und dem Studienleiter Georg Richter mit einem
syrischen Geschenk für ihre Arbeit und ihr Engagement.
Anschütz ist seit den 60er Jahren mit dem Kloster Mor Gabriel
und dem Tur 'Abdin befreundet. Sie filmt und schreibt über den
Tur 'Abdin und macht damit in der deutschen Öffentlichkeit auf
die Verfolgung der Syrer aufmerksam. Der Erzbischof würdigte
ebenfalls die Arbeit von Pfarrer Horst Oberkampf aus der
Solidaritätsgruppe Tur 'Abdin, der sich auch seit den 80er
Jahren für die Syrer in Tur 'Abdin engagiert.
Das Kloster Mor Gabriel in der Geschichte
Das Kloster Mor Gabriel oder das Kloster von Qartmin1 --
so die in der syrischen Kirchengeschichte ebenfalls vorkommende
Bezeichnung -- wurde im Jahre 397 von Mor Shmuel (+409) und seinem
Schüler Mor Shem 'un (+433) durch "Anweisung des Engels des
Herrn" gegründet. Dann wurde es im 7. Jahrhundert nach dem
Bischof Mor Gabriel benannt, der von 634 bis zu seinem Tod im Jahre
668 dort residierte. Das Kloster wurde im Laufe der Zeit immer
bekannter und zum Zentrum der syrischen Mönche. Obwohl es mit
zwei Mönchen begann, stieg ihre Zahl später rasch an, so
daß dort im 6. Jahrhundert bis 1000 Mönche zusammen
lebten. Das Kloster war sowohl Exerzitienstätte der
einheimischen Mönche, als auch für 800 Kopten, die sich
zuerst als Händler nach Tur 'Abdin begaben und dann im Kloster
für ein asketisches Leben entschieden. Das Kloster Mor Gabriel
spielt seit seiner Gründung bis heute eine wichtige Rolle im
Tur 'Abdin. Es ist nicht nur Kloster ausschließlich für
die Mönche gewesen, sondern auch eine theologische
Ausbildungsstätte für den ganzen Tur 'Abdin und sogar
für die syrische Kirche insgesamt. Die Klosterschule machte
sich einen Namen und bildete sehr viele Kleriker und namenhafte
Wissenschaftler aus; daraus gingen vier Patriarchen, ein Maphryono
(Katholikos) und 84 Bischöfe hervor. Namentlich zu
erwähnen wären u.a. Mor Yuhannun Sa 'oro (+503), Bischof
von Amida. Mor Philoxenos von Mabug (+523) -- auch Mor Achsnoyo
genannt2 -- der sich dem Chalkedonismus widersetzte, war
ein weltweit berühmter Theologe. Der Patriarch Theodosius
Romanus (+896), der ein berühmter Mediziner war, und Patriarch
Behnam von Hedil (+1454)3. Das Kloster verfügte
übrigens über eine reiche, wertvolle Bibliothek, deren
Manuskripte zum Teil von den großen syrischen Kalligraphen
auf Pergament abgeschrieben wurden. In der Klosterbibliothek findet
man heute nichts mehr von diesen Handschriften. Die meisten von
ihnen wurden bei Verfolgungen geplündert oder verbrannt; nur
einige wenige davon konnten gerettet und in europäischen
Bibliotheken aufbewahrt werden. Das Kloster Mor Gabriel hat eine
Geschichte hinter sich, von der mehrere altertümliche
Kirchengebäude, Asketenstätte und viele Ruinen mit den
Gräbern von "zwölftausend Heiligen" zurückgeblieben
sind.
Das Kloster Mor Gabriel in der Gegenwart
Die Geschichte des Klosters Mor Gabriel am Beginn unseres
Jahrhunderts war geprägt von dem grausamen Massaker von 1915,
dem sogenannten Jahr des Schwertes. Alle seine Bewohner wurden
damals auf Befehl der türkischen Regierung von den Kurden
umgebracht und das Kloster wurde von ihnen vier Jahre lang besetzt.
Erst ab 1919 konnte es nochmals von den Syrern bewohnt und geleitet
werden. Unter der Leitung des Abtes Sabo Günes (+1962) konnte
ab 1956 mit der Renovierung des Klosters und mit neuen
Baumaßnahmen begonnen werden, die ab 1962 unter dem jungen
Abt Yeshu Çiçek (gegenwärtiger Erzbischof von
Mitteleuropa) fortgesetzt wurden. Dabei wurden die meisten
Neubauten und der Kirchturm eingerichtet, die v.a. von dem
Metropoliten der USA Mor Athanasius Y. Samuel (+1995) finanziert
wurden. Die erste Autostraße zum Kloster wurde gebaut und
Elektrizität durch einen Generator zum ersten Mal in der
Geschichte des Klosters angeschafft, nicht zuletzt aber das
Priesterseminar eröffnet, das noch bis heute im Betrieb ist.
Als der Abt Samuel Aktas (gegenwärtiger Erzbischof vom Tur
'Abdin) ca. 1972 die Leitung des Klosters übernahm, konnte mit
weiteren Baueinheiten begonnen und bis heute weiter gebaut werden.
Dabei sind im letzten Jahrzehnt die Wohneinheiten der Nonnen und
der Seminaristen sowie des Bischofs zeitgemäß geworden.
Die Möglichkeiten des Klosters wurden verbessert, der
öffentliche Strom (1979), fließendes Wasser (1983) und
Telefon eingerichtet. Außerdem wurden große
Gartenanlagen für die Versorgung der Bewohner mit befestigter
Mauer um das Kloster angebaut, wonach von den historischen Ruinen
nichts mehr zu sehen ist. Die Ruinen hätten
möglicherweise bei eventuellen Ausgrabungen eine bedeutende
Geschichte dieses Klosters nachweisen können.
Das Kloster ist nun eine Burg und ein Zentrum für die Syrer
im Tur 'Abdin. Seit der Bischofsweihe seines Abtes Mor Timotheos
Samuel Aktas ist es nochmals der faktische Bischofssitz vom Tur
'Abdin geworden, obwohl es theoretisch noch immer die Stadt Midyat
ist. Was die Anzahl der Bewohner des Klosters heute angeht, kann
man sie sicherlich nicht mehr mit der Vergangenheit vergleichen,
weil damals Tur 'Abdin ausschließlich von den Syrern bewohnt
war. Im Kloster leben zur Zeit außer dem Bischof zwei
Mönche, ca. 15 Nonnen und 40 Schüler sowie drei Familien
der Lehrkräfte und Mitarbeiter. Das Priesterseminar Mor
Gabriel hat in den letzten 40 Jahren einen wichtigen Beitrag
für die syrische Kirche und Kultur geleistet, denn viele von
den Klerikern und Lehrern in verschiedenen Diözesen wurden
hier ausgebildet und die syrische Sprache gepflegt. Bis 1980
konnten die Seminaristen intensiv in syrischer Theologie
ausgebildet werden. Aber nachdem die türkische Regierung die
syrischen Priesterseminare geschlossen hatte, mußten die
Schüler dann in die türkische Schule täglich nach
Midyat geschickt werden. Damit erschwert sich das geistliche Leben
der Klosterbewohner, weil für sie nicht genügend Zeit
für eine ausreichende theologische Ausbildung bleibt.
Darüber hinaus steht das Kloster Mor Gabriel in einem
Sozialdienst für die Syrer im Tur 'Abdin. Durch den
sogenannten Sozialfonds, der von den Organisationen Freunde des Tur
'Abdin und Solidaritätsgruppe Tur 'Abdin gegründet wurde,
werden schwache syrische Familien in Notfällen
unterstützt. Über das Kloster wird ebenfalls syrischen
Pfarrern und Lehrer mit einem Zuschuß finanziell unter die
Arme gegriffen, der vom Ökumenischen Rat der Kirchen
gefördert wird.
Trotz der schwierigen Situation der Syrer im Tur
'Abdin beginnt das Kloster Mor Gabriel mit diesen neuen
Einrichtungsmaßnahmen nochmals mit neuer Blüte und
schlägt seine Wurzeln mit einer hoffnungsvollen Zukunft tief
in den Boden Tur 'Abdins. Das Kloster möge weiterhin das
Wahrzeichen vom Tur 'Abdin und Zentrum für die Syrer und alle
Besucher sein, damit der Vers aus dem Psalm 91, der als
Tagungsspruch gewählt wurde, auch für das Kloster gilt:
"Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem
Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn:
Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe".
*
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1
Es wird aber auch in nichtsyrischen Sprachen als
Deyr-ul-Umur (arab., türk.), Deyr 'Amar oder
Dayr 'Umar (kurd.) genannt, hat aber nicht mit einem
gewissen arabisch-islamischen Führer 'Amar zu tun, wie manche
es interpretieren wollen, sondern es ist eine typisch syrische
Bezeichnung für ein Kloster. Noch heute wird es in der
Schriftsprache als dayro d- 'umro d-mor gabriel geschrieben.
Ebenso hießen viele andere Klöster dayro d-
'umro, z.B. das Kloster Mor Barsaumo in der edessanischen
Region TurUrhoi oder das Kloster Dayr Za 'faran. Vgl. J-B. Shabot,
Chronique de Michel le Syrien, Bd. 4, Paris 1910, 633,
697; J. Abbeloos - Th.J. Lamy, Gregorii Barhebraei chronicon
ecclesiasticum, Bd. 1, Löwen 1872, 509, 515, 517.
2
Im Bet-Kadishe des Klosters sollte sich eine Reliquie (Haupt) von
ihm befinden.
3 Ph. J. Dolabani, Maktabzabne d- 'umro
qaddisho d-qartmin, Mardin 1959, 8 ff. [Text syrisch];
Ders., Deyr-el-umur Tarihi, [türk. Übers. C. Aydin],
Istanbul 1971, 15 ff.
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